12. Mai 2009

Kaum zu glauben, daß ich jemals dieser junge Dachs war.

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Es ist schummrig. Die Stuhlreihen stehen eng beieinander. Die kalten Ziegelsteine geben dem feuchten Kellergewölbe eine endzeitliche Atmosphäre. Die Kälte kriecht auch vom Boden her die Hosenbeine hinauf. Es scheint auf den ersten Blick unwohnlich und unbehaglich. Am einen Ende, des normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Eiskellers der Moritzbastei, ist ein schmales Podest aufgestellt. Dahinter türmen sich Bücher und Tonbandschachteln. Ein zersauster, alter Mann kriecht auf dem Boden. Er scheint etwas zu suchen. Er stöhnt. Jede Bewegung steht unter dem Firmament einer unbändigen Suche nach etwas. Der Boden ist staubig. Der kräftige Körper des Mannes ist ständig in Bewegung – er kniet, rutscht, sitzt aufrecht, beugt sich, sieht sich um und hält inne. Ein Diaprojektor wirft unablässig Bilder an das rote Mauerwerk in deren Lichtstreifen sich der schwere Körper des Mannes abzeichnet.

Das Publikum nimmt Platz. „Das letzte Band“ mit Friedhelm Eberle, nach einem Theaterstück von Samuel Beckett, beginnt nicht. Es hat schon längst begonnen. Der Zuschauer stößt viel mehr zufällig hinzu und starrt gebannt auf die als Bühne verkleidete Stirnseite des Kellerlochs.

Beckett schrieb „Das letzte Band“ (Originaltitel: „Krapp’s last Tape“) 1958. Es verhandelt die Geschichte eines alten, ledigen Mannes, der anhand von Tonbandaufzeichnungen, die er jahrzehntelang von sich selbst gemacht hat, seine Vergangenheit Revue passieren lässt. Im Mittelpunkt steht ein Band, das er 39-jährig aufgenommen hat. Das Alter, der Tod, die Liebe und die Einsamkeit stehen im Fokus des Dialogs zwischen Krapps gegenwärtigen und seinem vergangenen Selbst.

Friedhelm Eberle gelingt in seiner Darstellung gleich zu Beginn ein Kunstgriff: Seine anfängliche prologartige Suche endet im trüben Licht von Diaaufnahmen Becketts auf einem Stuhl mit einem Buch in seinen Händen. Eberle beginnt darin zu blättern, um kurz darauf den Anfang des eigentlichen Stückes vorzulesen. So zieht er sich selbst und gleichsam den sich als zufällig hereingestolpert empfindenden Zuschauer wie in einem Sog in die Geschichte. Er wiederum tut alles der rezitierten Geschichte gleich: Er findet ein Band. Er kramt ein altes, schweres Tonbandgerät hervor und beginnt das Band abzuspielen.

Der Protagonist Krapp hat – wenn nicht an die Liebe geglaubt – so doch zumindest als 39-Jähriger eine Ahnung von ihr bekommen. Der Name dieser Ahnung war Bianca. So wie er sich von der vermeintlichen Liebe auf dem Band erzählen hört, fährt er sich selbst harsch ins Wort: „Hörte mir soeben den albernen Idioten an, für den ich mich vor dreißig Jahren hielt, kaum zu glauben, dass ich je so blöde war. Diese Stimme! Gott sei Dank ist das wenigstens alles aus und vorbei.“ Mutter und Vater sind gestorben und allerlei andere biographische Begebenheiten werden kurz berührt.

Beckett zeichnet seinen Krapp als zynischen, dem Alkohol zugeneigten, griesgrämigen, alten Sack, der missmutig auf sein Leben zurückschaut, vor der Hässlichkeit des Alters erschrickt, und sich über seine Träume, Wünsche und Hoffnungen vergangener Jahre zu amüsieren weiß. Dieser Mann sitzt im Jetzt allein vor seinem Tonband. Es ist ihm nichts geblieben außer Erinnerungen an genau all diese Dinge, Umstände und Erlebnisse. Seine Einsamkeit schreit einem ins Gesicht. Die Tatsache, dass an seiner eigenen Deutung von Gefühls- und Lebenswelt doch nicht alles richtig sein kann, tanzt förmlich um ihn herum, vermag ihn fast schwindelig zu machen. Der Zweifel knabbert an allen Ecken und Enden seiner Biographie, seines Körpers und seines Lebensgefühls.

“Vielleicht sind meine besten Jahre dahin. Da noch eine Aussicht auf Glück bestand. Aber ich wünsche sie nicht zurück. Jetzt nicht mehr, wo dies Feuer in mir brennt. Nein, ich wünsche sie nicht zurück.“ Friedhelm Eberle meistert die Vermittlung dieses Feuers durch sein überragend körperbetontes und feinsinnig akzentuiertes Spiel. Der ungewöhnliche Ort, die zirkulierenden Düfte teurer Parfüms von ehemals überzeugten Schauspielhausabonnenten und neuerdings enttäuschten Centraltheaterbesuchern oder das Summen des Diaprojektors ist vergessen, wenn Eberle als Krapp über den Verlust, die Angst, jugendlichen Idealismus und Romantizismus sinniert. Seine ruhige Sprache betoniert jeden seiner Sätze in den eigenen Kopf. Seine Stimme hallt nach, weil er ihr den Raum dafür gibt.

Der Verfall der Ideen, der Ideale und des Körpers im Laufe eines Lebens wird in Becketts Stück gerade in dem beengten Rahmen des Eiskellers der MB zu einer körperlichen Erfahrung. Das lebensechte, eindringliche Bühnenbild, die durch die Umgebung zwangsläufig reduzierte Theatralik und allem voran Eberles bewegende und auf das Wesentlichste reduzierte Schauspielkunst geben dem Gesamteindruck „existenzialistisch“ seine wahrhaftige Bedeutung zurück. Theater kann körperliche Erfahrung ohne Schreie, laute Bässe oder grelle Farben sein.

Es ist umso erfreulicher, dass nach Eberles Abschied am Schauspielhaus (wo „Das letzte Band“ schon lange Zeit lief) die Verantwortlichen der Moritzbastei ihm im Eiskeller eine zweite Heimat für eine Handvoll Aufführungen schenken konnten. Das „Kellertheater“ des Schauspielhauses hatte zweifelsfrei schon einen überzeugenden morbiden Charme – diesen aber treibt der Eiskeller nunmehr auf die Spitze. So bleibt für eine Art Fortsetzung nur die Hoffnung auf eine Inszenierung von „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ von F.M. Dostojewski. Vielleicht findet sich noch ein Rezitator für Gedichte von Gottfried Keller – dann wäre eine Trilogie des Kellertheaters geboren.

Die nächsten Vorführungen von „Das letzte Band“ mit Friedhelm Eberle finden am 17.05., 18.05., 21.05. und 25.05. jeweils um 20.00 im Eiskeller der Moritzbastei statt. Der Eintritt beträgt 15,-/10,- (ermäßigt).


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